Doping: Alles geben, nichts nehmen

Doping: Alles geben, nichts nehmen

Wer dieser Tage seinen aufmerksamen Blick schweifen lässt, bemerkt vielleicht eines der Plakate mit dem Titel „Alles geben, nichts nehmen.

Das Foto zeigt das Plakat mit Anni Friesinger-Postma, welches ich in Köln fotografiert habe. Auf der Webseite alles-geben-nichts-nehmen.de wirbt die Aktion derzeit mit sieben bekannten Gesichtern aus dem Leistungssport. Für einen dopingfreien Leistungssport setzen sich hier Claudia Bokel (Fechten), Jonas Reckermann (Beachvolleyball), Tobias Angerer (Skilanglauf), Anni Friesinger-Postma (Eisschnellauf), Silke Spiegelburg (Stabhochsprung), Heinrich Popow (Sprint) und Wladimir Klitschko (Boxen) ein.

Eine schöne Kampagne. Werben für einen sauberen Leistungssport, für ehrliche Leistungen der Athleten. Ich bin dafür! Und ich darf es guten Gewissens sein. Und auch du bist vermutlich dafür, denn wer für Doping ist, gehört zu den Bösen.

Damit ist die Situation klar umrissen, wir dürfen uns entspannt zurücklehnen, eine Diskussion ist – da absolutes Einvernehmen herrscht – nicht erforderlich. Doch dann machte ich den Fehler, kurz nachzudenken…

Ganz so einfach gestaltet sich das alles vielleicht doch nicht, wie es auf den ersten Blick scheint. Zunächst fällt mir auf, dass mehr als die Hälfte (nämlich die ersten vier) der vorgenannten Leistungssportler ihre sportliche Karriere bereits beendet hat. Es ist sehr viel einfacher, sich gegen das Doping auszusprechen, wenn einem selbst keine Dopingkontrolle mehr droht.
Andererseits: Ich mag das, wenn Menschen sich selbst mit einem Augenzwinkern begegnen und sich nicht so furchtbar ernst nehmen.
Es wirkt allerdings so, als hätte die NADA ein wenig Schwierigkeiten gehabt, ausreichend aktive Sportler zu finden, um mit deren Gesichtern der Kampagne Leben zu verleihen.

Es gibt noch ein anderes, weitaus schwerwiegenderes, Problem welches zeigt, dass die Welt sich nicht ganz so leicht und Gut und Böse, Schwarz und Weiß einteilen lässt wie der Logotext:

Doping: Alles geben, nichts nehmen

Leistungssport ist Arbeit. Harte Arbeit. Leistungssportler trainieren 4, 6, 8 Stunden täglich. Sie fahren vielleicht nicht ins Büro, sie arbeiten nicht im Supermarkt an der Kasse oder verdienen ihren Lebensunterhalt als Handwerker. Dennoch ist der Sport ihr „Job“, den kaum einer von ihnen ausübt, um bei Wettkämpfen unter „ferner liefen“ in der Ergebnisliste aufzutauchen. Profi-Sportler arbeiten hart für ihre Leistungen und möchte Erfolg haben. Am liebsten die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen, der Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft.

Das generelle Problem dabei: es ist davon auszugehen, dass sehr viel gedopt wird und die erwischten Dopingsünder nur die Spitze des Eisberges sind. Denn es ist ein Katz-und-Maus Spiel, bei dem die Dopingsünder (bzw. ihre Betreuer und Ärzte) immer neue Substanzen entwickeln und testen, wobei sie den Dopingfahnder stets einen Schritt voraus sind. Auch deshalb werden Blutproben mittlerweile oft über lange Zeit aufbewahrt, damit ggf. auch nach Jahren noch Tests durchgeführt und nachträglich verbotene Substanzen nachgewiesen werden können, für die es zum Zeitpunkt der Blutentnahme noch keine Analysemethoden gab.

Wie viel besser nun muss ein Sportler sein, der nicht gedopt hat, um die gleiche Leistung zu erbringen wie sein gedopter Kontrahent? 10%?, 20%? 30%? Dies hängt auch von der Art des Sports ab, bei dem Doping betrieben wird. Gerade im Ausdauersport wie beispielsweise beim Radfahren, Skilanglauf, Biathlon, Sprint, Kurz-  und Mittelstrecke, Eisschnellauf usw. usw. gestaltet sich das Potential für Leistungszuwachs durch Doping beträchtlich.

Der Profisportler – der nicht nur dabei sein, sondern auch gewinnen möchte – sieht sich mit einer Konkurrenz konfrontiert, die (vermutlich) das macht, was er sich selbst verbieten möchte: Doping. Erreicht er durch „saubere“ Leistung nicht die Leistungsklasse der Kontrahenten, so gerät er ins Hintertreffen. Wer keinen Erfolg hat, findet keine Sponsoren, wird nicht bekannt, hat keine Fans –Tagein, Tagaus beim Training quälen muss er sich trotzdem.

Die Zuschauer möchten Gewinner sehen. Wir erinnern uns vielleicht noch, wie die Nation gebannt vor dem Fernseher saß, als Boris Becker oder Steffi Graf noch in Wimbledon spielten – und gewannen? Und wie schnell sich das Interesse am Tennis abkühlte, als die beiden ihre Karriere beendeten? Wir erinnern uns, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass wenigstens einige deutsche Schwimmer sich einen Medaillenrang erkämpften, während bei den Olympischen Spielen 2012 Thomas Lurz mit der Silbermedaille über 10 km Marathon(schwimmen) der einzige Medaillengewinner dieser Disziplin bliebt und Spekulationen laut wurden, ob Deutschland im Schwimmsport nunmehr (zu?) konsequent auf Doping verzichte?

Diese Aspekte zeigen die grundsätzliche Problematik solcher nationaler Aktionen gegen das Doping. Sie zeigen ganz sicher den Weg in die richtige Richtung. Aber sie sollten vermeiden, den moralischen Zeigefinger allzu hoch zu heben. Denn auch die NADA, auch der Deutsche Olympische Sportbund oder die Deutsche Sporthilfe wünschen sich nicht nur saubere Athleten, sondern auch solche, die Medaillen gewinnen. Nur sollen sie das möglichst auch gegen eine übermächtige (gedopte) Konkurrenz schaffen – und da ist er wieder: der Wunsch nach der Quadratur des Kreises.

Es stellt sich somit die Frage, ob Anti-Doping-Kampagnen als nationaler Alleingang die richtige Antwort auf ein globales Problem darstellen? Oder ob nicht erst dann nachhaltige Erfolge gegen das Doping erzielt werden können, wenn alle am gleichen Strang ziehen.

Welche Anreize müssten dafür gesetzt werden? Sind Appelle ausreichend? Oder würde es sich nicht anbieten, grundsätzlich von jedem der Athleten auf den ersten 5 bis 10 Plätzen – unabhängig von Nationalität oder Geschlecht – Proben zu nehmen, einen Teil davon stichprobenartig zu testen und die übrigen einzulagern? So könnte bei einem begründeten Verdacht oder einer positiven A- und B-Probe auch nachträglich noch frühere Proben getestet, ggf. Titel früherer Wettkämpfe aberkannt und somit ein starker Anreiz für einen sauberen Sport gesetzt werden. Die Angst vor Entdeckung und Aberkennung aller Titel wiegt – leider – bei vielen Sportlern als Anreiz nachhaltiger, als allein die Sicherheit, ein gutes Gewissen zu haben – zumindest dann, wenn sich mit einem guten Gewissen keine Wettkämpfe gewinnen lassen. Das Richtige zu wollen und das Richtige zu tun sind oft zwei verschiedene Paar Schuhe.

Wichtig wäre zudem, nicht vornehmlich auf Urinproben, sondern verstärkt auf Blutproben zu setzen, denn Urinproben lassen sich verhältnismäßig leicht manipulieren. So gibt es die Möglichkeit, vor der Probe zu urinieren und anschließend "sauberen" Urin durch Rekatheterisierung wieder einzuführen. Oder der Urin wird aus einem anderen Behälter in den für den Urin vorgesehenen Behälter gefüllt. Weiter kann man die Probe mit Wasser verdünnen oder mit Alkohol und Detergentien versetzen.

Ein Test kostet zwar mehrere hundert Euro und die vermeintlich hohen Kosten werden gelegentlich als Argument eingebracht, warum großflächig angelegte Dopingkontrollen nicht möglich wären. Andererseits sind für die Sportveranstaltungen selbst aber auch für Werbekampagnen wie die der NADA offenbar ausreichend finanzielle Mittel vorhanden. Wer es wirklich ernst meint mit konsequenten Kontrollen, wird auch Wege zur Finanzierung finden.

Ein fairer Sport, Chancengleichheit entstehen dann, wenn alle gleich stark gedopt sind oder eben niemand gedopt ist.

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